Meine Eltern
haben akzeptiert, dass ich erwachsen bin. Sie sind klug. Sie raten mir niemals von etwas offensichtlich ab. Sie schicken mir lediglich seit meinem Auszug vor 28 Jahren regelmäßig interessante Zeitungsausschnitte zu aktuellen und meine akute Lebenssituation betreffenden Themen. Die Ausschnitte sind niemals einseitig. Es gibt häufig Pro- und Contra-Meine-Entscheidung-kommentierende Texte. Manchmal überwiegen Pros, es kommt aber auch vor, dass nicht. Mein Vater zeichnet mit dem Lineal zwei rote Diagonalen schräg über den Artikel. In gewissem Sinne, das habe ich in all den Jahren gelernt, sind die rot markierten Texte Ausdruck ihrer niemals endenden Sorge um mich. Einige enthalten verschlüsselte Botschaften.
Es begann vor einigen Wochen mit Texten über das Reisen im Allgemeinen, über die damit einhergehende gesellschaftliche Veränderung, über inter-kulturellen Austausch, über Globalisierung auch. Ich verstand: ‚Wir freuen uns, dass Du reist, es wirkt horizonterweiternd, wir sind gespannt auf Deine Berichte!‘
Bald darauf folgten Beiträge zur Unmöglichkeit des emissionslosen Reisens, CO2-Fußabdrücke usw. – Ok. Ja, angekommen … weiß ich. Doch mein ökologisches Gewissen, berücksichtigt man die großstädtischen Lebensumstände, ist rein: Ich bin autolos, bringe Pfandflaschen und Altpapier zum Container, kaufe bei lokalen Bauern, koche jahreszeitentsprechend und überwiegend fleischfrei. Natürlich kann man immer noch mehr tun. Aber in ‚Jakobsweg‘ umbuchen werde ich nicht!
Seit zwei Wochen bekomme ich ganz andere Texte. Sie handeln vom IS, von der Schwierigkeit als Nicht – Moslem in islamischen Ländern nicht anzuecken, einige berichten von Entführungen, es gibt Schaubilder: Reisewarnungs-Gebiete auf dem afrikanischen Kontinent, hellgelb bis dunkelrot schraffiert. Marokko immer farblos. Ich spüre die elterliche, mit dem näher rückenden Abreisetermin wachsende, Beunruhigung und mein Bedürfnis, erwachsen zu sein – und mich nicht anstecken zu lassen. (Gibt’s dafür ’ne Impfung?)