Es ist leicht bedeckt. Ich verbringe den Vormittag im Riad und nutze gegen Mittag die Chance, mit Maria, meiner Chambre d’Amis-Gastgeberin, den Weg zum Maison de la Photographie zu gehen. Gestern, stelle ich jetzt fest, bin ich in die komplett falsche Richtung gelaufen. Jetzt tauchen wir von einer völlig anderen Seite in die Medina ein. Die Mauern, die Gebäude hier wirken älter. Maria weiß, welche Markthallen auf der anderen Seite einen Ausgang haben und vor allem, wo wir dann rauskommen. Ohne sie wäre ich verloren. Ich habe absolut keine Ahnung wo wir uns befinden. Sie grüßt im Vorübergehen Bekannte, schüttelt hier eine Hand und dort, wechselt kurze Sätze auf Arabisch.
Wir besuchen den Riad einer Schweizerin, die seit vielen, vielen Jahren Frauenkunst fördert und ausstellt. Große Räume, die für Installationen reserviert sind, Gemälde, Plakate, Objekte.
Auch das Musée de la Photographie ist in einem Riad untergebracht. Dokumentation marokkanischen Lebens in Schwarzweiß von 1870 – 1950. Beeindruckende Portraits. Faszinierend, wie Farblosigkeit immer sofort spricht, eine Geschichte erzählt. Stundenlang könnte ich vor den eindrucksvollen Gesichtern stehen, aber da draußen bleibt noch so viel zu sehen.
Oben auf der Dachterrasse vom Museum habe ich einen weiten Blick über die Médina, ein Meer an Satellitenschüsseln und staubigen Plateaus, wasserhungrigen Pflanzen, vom Wind umgeworfenen Holzstühlen, Plastiktüten, Dreck und immer wieder dazwischen die dunklen Quadrate von farbigen Ziegeln umrandeter Öffnungen, ein bisschen Säulen vielleicht noch einen Türbogen, doch weiter hinab kann man nicht blicken in die Oasen der Riadhöfe.
Eine andere Oase ist das Café Le Jardin, ehemaliger Arbeitsplatz von Maria, bevor sie im Chambre d’Amis die Leitung übernahm. Dem Namen entsprechend strotzt der große Innenhof vor Grün, bestuhlter Urwald, Türen und Wände passen sich farblich ein. Wir lassen uns in einer Nische nieder, trinken Tee und essen eine Kleinigkeit, bevor wir wieder hinaustreten auf die Medinagassen.
Maria kauf bei einem Bauern Bananen, sie zeigt mir den Obst- und Gemüsemarkt, wo Bauern selbst Angebautes direkt verkaufen, manchmal sitzt einer nur vor einem Korb Zwiebeln, vor einer Schale Tomaten, ein paar Eiern. Sie bringen das hierher, was gerade da ist und hoffen abends mit ein paar Dihram mehr nach Hause zu gehen. Wir laufen über den Fleischmarkt, den Gewürzmarkt, machen uns auf geheimnisvollen Wegen auf den Nachhauseweg.
Irgendwo bleibt Maria stehen. An eine sonnige Mauer gelehnt, sitzt eine uralte, kleine Korbflechterin, das Gesicht verschleiert, neben ihr wenige kunstvoll hergestellte Taschen und Körbe. ‚Das ist so eine Liebe‘, sagt Maria und beugt sich zu der rundlichen Frau hinunter, küsst sie, dann streckt die alte Dame die Hand nach mir aus, zieht mich, die ich halb starr vor Schreck den Atmen anhalte, zu sich heran und küsst auch mich. Unter ihrem Schleier höre ich ein leises Kichern.