15.12.2014 Dark side and bright side of town

Maryem und ich begleiten meine britischen Appartement-Nachbarn, ein Ehepaar mit zwei Jungs, zu einer Sozialstation für Waisenkinder. Die Briten möchten dort Kinderkleidung abgeben, die sie von Spanien im PKW mit hierher gebracht haben. Weil die Leiterin noch nicht da ist, warten wir. Gegenüber ist eine französische Konditorei: Exzellente Croissants! 40 Cent das Stück. Sandwiches (alles Hallal, versichert die französische Verkäuferin), Tartes, Quiches, Pains au Chocolat, es riecht verführerisch!

Die Briten lassen ihre Jungs unter dem Tisch Katzen mit dunkel glänzendem Schokoladenkuchen füttern. Eine kleine Katze beißt in einen Kinderfinger. Mir bleibt fast das Herz stehen. Die Mutter lächelt und sagt dem heulenden Knaben, der Schmerz würde gleich nachlassen. Ich hätte gern ein kleines Video dieser Szene zu meinem Impfspezialisten nach Hamburg geschickt. Das ist Immuntherapie, hätte im Betreff gestanden.

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Später holen wir Eva, Maryem und Titus’ Tochter in der französischen Schule ab. Ein bisschen Eppendorfgefühl stellt sich beim Anblick der europäisch gekleideten SUV-Mütter ein, die ihre privilegierten Kinder einsammeln. Wir nehmen ein Taxi. Eva, sagt Maryem, wird zweimal täglich hingebracht und abgeholt. Alle Eltern tun das. Keiner will etwas riskieren. Es ist schon einiges passiert, sagt sie, wir lassen die Kinder auch nicht allein in der Gasse spielen. Zu gefährlich. Nur direkt vor der Tür. Es gibt eine ganze Menge Verrückte hier.

Wir haben Eva nach dem Mittagessen wieder in die Schule gebracht und fahren mit dem Taxi zum Ost-Eingang der Médina. Maryem zeigt mir das Viertel, das ich nach Einbruch der Dunkelheit meiden soll, die Mellah, das Judenviertel. Direkt davor, außerhalb der Mauer, der jüdische Friedhof. Er öffnet erst um vier, um ihn anzusehen, muss ich an einem anderen Tag kommen.

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Wir stehen an einem großen, durch den Regen aufgeweichten Platz, sehen stadtwärts in halb abgerissene Häuserruinen, ausgeweidete menschliche Behausungen, krankes, zertrümmertes Gemäuer. Stadtmauerwärts eine blassrote, löchrige Sandsteinwand. Überall Katzen, zwischen, auf und unter Müll. Ein fast fellloser, räudiger Kampfhund unter Beobachtung einer Gruppe marokkanischer Männer, wie eine böse Legende zwischen Müll und Katzen. Bedauernswerte Kreatur. Kein schönes Bild. Das Viertel ist verwinkelt und düster, offensichtlich in einem sehr schlechten Zustand. Wenn man den Blick hebt, fallen die kaputten, zum Teil notdürftig reparierten Fenster auf. Allerhand komische Gestalten treiben sich herum.

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Dann wird es bunter und freundlicher. Ich bin froh, als wir wenig später im Souk Jedid bei den wohlriechenden Ständen der Gewürzhändler landen, die uns gesüßten Wunder-Tee anbieten, Salben und Kräuter – und ich entdecke Produkte, um die Haut aufzuhellen. Für wen, frage ich. Die einheimischen Damen, sagt der Verkäufer, er betrachtet mich eingehend, ein altes Gesetz: man möchte immer unbedingt das, was man nicht hat.

Gewuerzhaendler

Hautheller

Am späten Nachmittag gehe ich zum ersten Mal zum Strand. Die Straßen stehen noch unter Wasser. Am blauen Himmel ist die Sonne schon recht tief gerutscht, es wirkt nicht so, als müssten wir noch einmal mit Regen rechnen. Eine Gruppe Schwarzafrikaner trommelt auf der Promenade, einige Marokkaner haben sich ihnen gegenüber auf der Mauer niedergelassen und hören zu. Ich gehe zum Strand hinunter. Wie eine kunstvolle Animation bewegen sich die schwarzen Umrisse fußballspielender Jungs vor dem silbernen Licht.

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Ich entdecke eine Bar direkt am Strand. Der Einblick ist, wie bei einem Pissoir, durch eine Mauer verstellt. Der Barkeeper kommt auf mich zu, er redet, möchte ein Foto mit mir auf seinem Handy. Warum? Ich sähe so unglaublich sympathisch aus. Alle Touristinnen sehen sympathisch aus, nicht wahr? Er bleibt freundlich. Ich schaue mit ihm ins Handy, er zeigt mir das Bild. Ich sehe ihn und mich in schlimmen Farben. Gerechtigkeit. Ich will auch ein Foto, nur von ihm. Bekomme ich. Ohne dafür bezahlen zu müssen.

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Hassan, stellt er sich vor.

Maria, sage ich.

Es gibt Bier – und Wein. Deshalb die Wand. Der Muslim lässt sich nicht gern beim Trinken beobachten.

Ich bleibe. Ich setze mich vorne in die erste Reihe. Viele Plätze gibt es nicht, vielleicht zwanzig. Nur einige sind besetzt, vornehmlich von Marokkanern, eine Orangina trinkende Frau.

Was für eine Aussicht! Kurz vor Vorstellung. Die Sonne steht knapp über der Werft, sie wird in Kürze in das offene Schiffsskelett stürzen. Ich zücke die Kamera. Da höre ich aus der hintersten Ecke die Stimme eines Mannes, ich solle ihn bloß nicht fotografieren. Ich frage mich, wer auch immer da spricht … wie er sich das vorstellt! Meine Kamera sieht aufs Meer … Ich drehe mich leicht zu ihm um, sehe, dass sein kompletter Tisch mit leeren Bierflaschen vollgestellt ist.  Jetzt verstehe ich, natürlich hat er eine Vorstellung davon – und was für eine.

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