Ich mag keine Katzen. Das rührt von meiner Allergie gegen ihr Haar. Sie erregen auch nicht mein Mitleid. Mein Herz bleibt steinhart angesichts einer niesenden, hinkenden, räudigen oder einäugigen Katze. An dieser Stelle bin ich empathielos, ich möchte einfach nur, dass sie verschwindet. Auch die Kindchenschemanummer der jüngeren Katzen funktioniert bei mir nicht. Niemals würde ich einer etwas zuleide tun, ich respektiere ihre Anwesenheit auf dieser Erde – aber ich meide sie, gehe ihnen aus dem Weg und wäre froh, sie würden es ebenso mit mir halten. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist, als habe es unter den Katzen dieser Welt genau zu Beginn meiner Marokkoreise einen Aufruf gegeben, bei mir Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich meinte, sie würden an jeder Ecke postieren, Kunststücke vorführen, in den groteskesten Posen stehen, liegen, schlafen, nur um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Zu Anfang, in Marrakech noch, habe ich sie größtenteils ignoriert. Das schien mir eine geeignete Methode. Nur zweien von ihnen ging ich auf den Leim. Sie stritten sich, natürlich inszeniert, auf dem Jemaa el Fnaa: laut und ausgiebig und neben einem sehr fotogenen Motorrad, so dass ich hinsehen und irgendwann sogar die Kamera zücken musste, ob dieser filmreifen Darbietung. Ich würde nicht noch einmal darauf hereinfallen.
In Essaouira dann funktionierte es zu Anfang ganz gut. Hier und dort liefen sie herum. Ich beachtete sie nicht weiter. Beim Frühstück im Café blieb ihr Herumschleichen nah meiner Beine, ihr Betteln, nicht aus, Wasser vertrieb sie. Sie versuchten es natürlich immer wieder.
Am vierten oder fünften Tag gab es einen heftigen Sturm. Ich ging durch den Hafen, bis ganz ans Ende, hinter die Abteile der Schiffsbauer, dort wo die Gendarmerie dem Küchenjungen vom ‚Chez Sam’ vor dem Hinterausgang der ihr gegenüber gelegenen Restaurantküche beim Ausnehmen der Fische zuschauen kann.
Ich sah wie die Möwen im Wind taumelten und eine etwas kleinere Katze, die den Küchenjungen nicht aus den Augen ließ, sich vor einer Böe in eine Holzkiste ducken. Der Küchenjunge warf eine Handvoll Fischgedärme einige Meter von sich auf den Boden. Während die Katze mit einem Satz aus der Kiste sprang, stieß fast gleichzeitig ein Schwarm Möwen auf die Katze herab. Die Katze sprang mit allen vieren in die Luft und gab einen schrecklichen Laut von sich. Die Vögel, riesige Flugschiffe, für den Bruchteil einer Sekunde beeindruckt, hoben leicht ab, um kurz darauf mit ihren großen Schnäbeln wieder nach der hungrigen Katze zu hacken. In diesem Moment kam ein Gendarm aus dem Polizeigebäude. Er lief unaufgeregt, doch schnell zu der Katze hinüber und vertrieb damit die wild gewordenen Möwen. Er setzte sich zu dem Küchenjungen, sah der noch immer aufgeregt atmenden Katze zu, wie sie die Fischgedärme verschlang und als sie aufgefressen hatte und wie in Dankbarkeit um seine Beine strich, streichelte er sie so liebevoll, dass man hätte meinen können, auch dies sei eine Inszenierung für eine katzenabweisende Frau. Ich weiß nicht warum, aber damit fing es an. Kurz darauf entdeckte ich zwei Katzen, die eine rothaarig, katerdick, die andere braunweißgetigert, ein wenig kleiner, die am Kiel eines Ruderboots wohl vor dem Wind Schutz suchend dicht neben- und aneinander lagen. Der Kater hatte seine Nase am Hinterkopf der Katze vergraben, sie den Kopf an seiner Brust. Das Ensemble rührte mich auf eine merkwürdige Weise. Es hatte etwas Menschliches, womöglich deshalb.
Nach dem Hafenspaziergang pflege ich den Thé am Bab Sbaa zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Der Platz ist riesig, es gibt unzählige Orte, an denen sich eine Katze hier ungestört zum Schlafen legen kann, doch diese, deren weißes Fell von einzelnen getigerten Flecken durchsetzt war, hatte die Sitzbank eines vor dem Café geparkten Motorrollers gewählt. Sie schlief tief und fest, als sei er eigens für sie hier abgestellt worden. Katzenurvertrauen. Ich beachtete sie zunächst nicht weiter. Als ich gerade aufstehen wollte, sah ich, der Besitzer des Rollers war aufgetaucht. Eine Handbewegung, die Katze wäre vom Sitz, von dem sie immerhin zweidrittel in Anspruch nahm, verschwunden. Er aber setzte sich behutsam auf das verbleibende vordere Drittel, startete den Motor und fuhr mitsamt der schlafenden Katze vom Platz. Das Tier hatte noch nicht einmal ein Auge geöffnet.
Gott behüte! Ich bin weit davon entfernt, auf den Gedanken zu kommen, eine Katze zu streicheln. Vielleicht kann gesteigerte Sympathie zur Desensibilisierung beitragen – von Berührung bin ich jedoch weit entfernt. Was ich nicht verhehlen kann ist, dass sie es auf wundersame Weise geschafft haben, sich einen Platz in meinem Herzen zu erschleichen.