Ich rufe im Riad an, dass ich früher gelandet bin. Maria, die Verwalterin sagt, der Fahrer kommt in zehn Minuten. Er bringt mich zur Place Jemaa El Fna, dem Mittelpunkt der Médina. Ab hier dürfen nur noch Fahrräder, Esels- und Handkarren fahren, am späten Nachmittag auch Mofas. Ich soll meine Tasche immer vor der Brust tragen sagt er zum Abschied ansonsten müsste ich mir hier keine Sorgen machen.
Ein Handkarrenfahrer holt mich am Rand des Platzes ab, erklärt mir, an welchen Gebäuden ich mich orientieren soll, um das nächste Mal ohne Hilfe zum Hotel zu kommen.
Der Platz ist laut, voller Menschen. Trommeln dröhnen von allen Seiten, ein dudelsackähnliches, orientalisches Instrument quäkt, hallt von den Wänden, es riecht nach verbranntem Holz, gebratenem Fleisch, orientalischen Gewürzen. Überall Bewegung im gleißenden Sonnenlicht. Männer auf alten, verrosteten Rädern, vollbeladene Eselskarren, Kapuzenmänner mit verkleideten Äffchen an Ketten, Akrobaten, Schlangenbeschwörer, Handleserinnen, Geschichtenerzähler. Inszenierte Tausendundeinenacht.
Es geht vorbei an Ständen mit aufgetürmten Orangen, Pampelmusen, Saft und Wasser, getrockneten Früchte, Gewürzen und dann direkt in den Souk. Eine enge Gasse tut sich auf, links und recht in den Häusern, an den Mauern, Stände, Stoffe, Kleidung, Uhren, Spezialitäten, Obst.
Ich sehe Männer jeden Alters und unterschiedlichster Hautfarbe herumstehen, vor und hinter den Ständen, redend, gestikulierend, rauchend, kaufend, handelnd, rufend. Dazwischen, an kleinen Ständen mit Gebackenem, Kopftuchfrauen, sanft lächelnd, still.
An einem kleinen Türmchen biegen wir links ab, gehen unter einem begrünten Dach hindurch. Der Lärm schlagartig ausgeschaltet.
Aus einem Hinterhof das Plätschern eines Brunnens, es geht rechts, dann wieder links, immer den ‚Chambre d’Amis’-Schildern nach, landen wir schließlich in einer dunklen Gasse.
Der Träger hält vor einer Tür, lässt die Metallhand gegen das alte Holz fallen. Die Tür öffnet sich. Und dort steht Maria, die mich voller Herzlichkeit empfängt.
Ich sitze auf der Dachterrasse. Die Sonne brennt, der Bambus neigt sich leicht im Wind. Ich bekomme heißen Minz-Tee, eine Hausführung und als ich an meinem Zimmer, der Nummer fünf ankomme, sitzt dort ein kleiner Vogel auf der Fußmatte.
Es ist erstaunlich kalt im Zimmer. Ich muss raus, auf die Straße. Gleich mitten in den Souk.
Tasche vor die Brust, Taxifahrerrat befolgend. Naja, und dann passiert es. Sehenden Auges. Ich laufe ungefähr eine Stunde umher. Natürlich wird man angequatscht, dies oder das zu kaufen, sich jene Sache nur mal anzusehen, ‚gratuit Madame’, ‚touchez, oui, touchez, c’est du vrai cuir.’ Ich lächle freundlich und sage ‚Non Merci’. Der Fehler, das begreife ich später, sind meine Freundlichkeit und der Blickkontakt. Gut. Ich versuche es kurz zu machen.
Mich spricht ein Mann auf Französisch an: Er habe mich am Flughafen gesehen, heute, ob ich mich erinnern würde, dort an einem Stand verkaufe er Cola. Ich sage: Nein. Und schon hat er mich.
Mit dem Flugzeug aus Hamburg, insistiert er.
Ja, sage ich und begreife bereits, dass ein Spiel beginnt, ich weiß noch nicht genau welches, aber ich lasse mich darauf ein. Mal sehen, wer gewinnt.
Er arbeite nur einen Tag die Woche am Flughafen und würde gerade seine Schwester in der Médina besuchen, er sei unterwegs in Richtung Berber – Viertel, dorthin wo die Felle gegerbt und Stoffe gefärbt werden undsoweiter und ob ich das sehen wolle, ich müsste ihm nur folgen, das wäre keine so touristische Ecke und die Berber würden nur heute arbeiten.
Ich sage okay, denke, der will bestimmt Geld und will gerade nachfragen, da sagt er, weil er Touristengedanken lesen kann: Kostet nichts, ich bin sowieso auf dem Weg dorthin, ist wirklich reine Freundlichkeit.
Aha, denke ich, mal sehen wie rein diese Freundlichkeit ist und sage: Wenn es nicht so weit ist – und dann folge ich ihm, im Eiltempo durch die kleinsten Gassen.
Er zeigt mir einen ‚echten’ Hamam und den dazugehörigen Heizraum, in dem mit Holz geheizt wird, im Gegensatz zum gasbeheizten Touristen-Hamam, wo die Ausländer dann ‚soooo einen Kopf’ bekommen, er deutet mit den Händen die Ausmaße an. Ich lache.
Also, ich müsse ihn unbedingt zu Hause besuchen, ich hätte ihn wirklich sehr berührt, schon am Flughafen.
Vielen Dank, sage ich, das machen wir dann, wenn mein Mann mitkommt, nächstes Mal.
Er, etwas verunsichert: Ah, ja, natürlich, das wäre mir eine große Freude.
Spielstand: Einszunull – für mich. E
Ein paar Versuche macht er noch mit ‚Ihre warmen Augen’ und ‚Ihr charmantes Lächeln’, ich antworte mit einem ironischen Oui, bien-sûr, dann gibt er mit der Kompliment-Nummer auf. Ich würde sagen: Zweizunull.
Irgendwann erreichen wir das Gerberviertel, es ist tatsächlich touristenfrei. Nicht grundlos, stelle ich fest, es stinkt hier erbärmlich. Wir stehen vor einem leicht geöffneten Tor. Ich solle gleich Salamaleikum sagen, meint der Cola-Mann. Und wie bestellt, steht plötzlich ein vollmondgesichtiger komischer Kauz mit einem Bund Minze vor uns.
Salamaleikum.
Muss ich dem was bezahlen?, frage ich.
Du gibst ihm, was er verdient, sagt der Colaverkäufer und ich denke: Okay, zweizueins, aus der Nummer komme ich nicht mehr raus, während der Gerberei-Experte mir die Minze in die Hand drückt und ‚Gasmask’ sagt, auf mein Lachen wartet und dann in drei Minuten, zwischen mit milchiger Flüssigkeit gefüllten Betonbecken in denen Schaffell treibt, einen französischen Text herunterrattert, von dem ich kein Wort verstehe.
Kurzfristig ist mein Flughafen-Colaverkäufer-Freund verschwunden, dann taucht er, zum Vortragsende, wieder auf, um mich in einen Laden zu schleppen, in dem man fertige Lederprodukte kaufen kann. Natürlich kaufen hier nur Marokkaner für den Markt ein. Mir reicht es. Gleichstand.
Vielleicht begehe ich deshalb jetzt meine Heldentat: Ich gebe fünf Männern die Hand, hauche Salamaleikum, lasse mich in den Laden führen, mir alles zeigen und sage dann: Vielen Dank, das ist wirklich alles sehr schön was Sie da herstellen, aber ich kann überhaupt nichts von all dem gebrauchen!
Die Männer sind sichtlich genervt, tauschen Blicke und ich bin heilfroh, dass mir entgeht, was sie meinem Colafreund auf Arabisch zurufen, als ich den Laden verlasse. Ich liege wieder einen voraus.
Mein Freund ist kein guter Verlierer, er will mich jetzt schnell loswerden. Allerdings nicht ohne unterwegs in einem Kräuterladen Halt gemacht zu haben. Ich wollte sowieso diese schwarze Olivenseife für den Hamam kaufen, warum also nicht hier.
Vierzig Dihram. Sagt der Mann im weißen Kittel.
Ich sage, das ist aber teuer, nur so.
Die junge Frau neben ihm schaut betreten zur Seite. Wenn Du die Wahrheit wissen willst, den Weg, frag eine Frau. Frauen lügen hier nicht. Der als Apotheker verkleidete Verkäufer sagt, nein, normal, nicht teuer. Vor der Tür drückt sich Monsieur Cola rum, kommt aber nicht rein. Sie spielen hier irgendwas, ich weiß nur nicht was. Ich bezahle mit einem 200 Dihramschein. Der Kräuterverkaufsexperte verschwindet, um Wechselgeld zu holen, er kommt lange nicht zurück, ich habe ein komisches Gefühl. Dann kommt er und gibt mir korrekt raus – denke ich. Später stelle ich fest, dass er mir anstatt 20 Dihram 20 ägyptische Ichweißnichtwas gegeben hat. Als ich es abends bemerke, habe ich längst vergessen, wo der Laden war. Damit hatten wir wieder Gleichstand.
Der Colaverkäufer bringt mich zwei Gassen weiter und bleibt plötzlich stehen. Er müsse mich jetzt allein lassen, der große Platz sei gleich hier geradeaus, ich würde ihn ganz leicht finden. Ich sage, Danke fürs Rumführen. Er sieht mich an: Halt, er habe sich doch sicherlich etwas verdient? Es stünde mir frei, aber, er hätte mir ja nun einiges geboten… Reine Freundschaft… Soll er doch gewinnen. Ich gebe ihm 100 Dihram, die ich unter ‚Marokko, Lektion 1’ verbuche und bin froh, ihn los zu sein, auch wenn ich eine halbe Stunde brauche, um ohne fremde Hilfe auf der Place Jemaa El Fna anzukommen. Es dämmert bereits.
Im Chambre d’Amis erzähle ich erst einmal etwas beschämt von meiner Begegnung. Maria lacht herzlich. Mir sei natürlich der erste Tag ins Gesicht geschrieben gewesen, Tasche fest umklammert, unsicherer Blick, Freundlichkeit in den Augen. Das sehen die. Du musst mit diesen ganzen Männern umgehen, als seien sie kleine blöde Jungs, streng und bestimmt und sieh ihnen niemals in die Augen!