Allen Eltern mit pubertierenden, elektronisch vernabelten und vernebelten Kindern zum Trost: Eure Kinder werden das virtuelle Leben hinter sich lassen. Sie kommen zurück. Verändert wahrscheinlich. Man denke an Raupen und Schmetterlinge. Es ist lediglich eine Frage der Zeit.
Heute, ein Gespräch unter drei knapp über Zwanzigjährigen.
Es ist Samstagnachmittag. B. und H., Schulfreunde meines Sohnes sind bei ihm, bei uns, zu Besuch. B studiert Maschinenbau, H. BWL. Alle drei sind übers Wochenende nach Hamburg heimgekehrt, Wäsche waschen, mal was Anständiges essen, Freunde sehen. Sie sitzen am Küchentisch, eingehüllt in Yogi-Tee-Nebel, ein buntes Anatomieposter liegt zwischen ihnen ausgebreitet. Seit Studienbeginn ist mein Sohn im Lernmodus. Ich bin fasziniert, wie akkurat er Modelle und Formeln abzeichnet und beschriftet und dadurch offenbar behält. ‚Gestern hats mir richtig Spaß gemacht,’ höre ich ihn sagen. Er meint die Lernerei. ‚S’ist gerade wahnsinnig spannend! Ich kapiere wie wir funktionieren! Wie genial wir konstruiert sind! Hier … ’ Die beiden anderen beugen sich, während ich mich noch über seine Worte freue, mit meinem Sohn über das Poster. Längst hatte ich mir Sorgen gemacht, wie lange er das sinnentleerte Chemie-und Physik-Auswendiglernen noch durchhalten würde.
Sie sitzen da also zu dritt
und mein Sohn erklärt seinen Freunden anhand lateinischer Namen und Ausdrücke Knochen, Muskeln, ihre Bezeichnungen und einzelne Bewegungsabläufe. Und wie vieles völlig anders konstruiert ist, als man eigentlich dachte! ‚Das ist total ausgeklügelt‘, sagt mein Sohn und da ist eine Begeisterung in seiner Stimme, die ich lange nicht mehr wahrgenommen habe. Er erklärt, man kann es wunderbar auf dem Poster sehen, dass sich Elle und Speiche bei Drehung des Unterarms umeinander drehen. Sie drehen selbst ihre inzwischen behaarten Unterarme, schauen, fühlen, staunen.
‚Ich hätte das anders konstruiert!’
Höre ich B. plötzlich sagen, ‚aus maschinenbautechnischer Sicht ist diese Drehung nicht unbedingt ein Vorteil. Denkt mal ans Bankdrücken, du hättest doch eine viel größere Kraft, wenn diese Drehung nicht stattfände … also, ich hätte es so konstruiert … er nimmt Zettel und Stift und beginnt mit einer Konstruktionszeichnung.
Große Diskussion. Korrekturen, Formeln. Für und wider. Es wird etwas lauter. Sie kochen Kaffee.
Ich gehe leise raus und freue mich. Wie großartig, dass sie nicht mehr in Gruppen mit ihren Handys im Zimmer herumsitzen und ich das Gefühl haben muss, etwas sei grundlegend falsch gelaufen.
Dass sie jetzt denken, sie könnten es besser machen als Gott, nun ja, auch diese Phase wird sicherlich vorübergehen.
Nur, sie gefällt mir weitaus besser …