Über Bücher / oder / Als ich Nietzsche dann doch mit nach Hause nahm

Ich hätte sie alle haben können, damals. Korrigiere: fast alle. Nietzsche nicht.

So oft es ging, begleitete ich meinen Vater zu seinem Lieblingsbuchhändler, dessen Laden in der hintersten Ecke einer Einkaufspassage lag. Während die beiden sich unterhielten, diskutierten oder in die Haare bekamen, meist genau in dieser Reihenfolge, suchte ich mir in dem verschachtelten Laden Bücher aus, durch deren Kauf mein Vater seinem Buchhändlerfreund später Versöhnung signalisierte. Es war eine Art Spiel, das einer von beiden immer wieder übertrieb. Bisweilen kaufte mein Vater nichts, weil wir vorzeitig den Laden verließen oder verlassen mussten. Dann gingen wir eine Weile zu einem anderen Buchhändler, der weniger streitsüchtig war. Bei ihm fiel meine Ausbeute geringer aus.

Einen Großteil der Bücher, die ich in meiner Teenagerzeit las, verdanke ich tatsächlich dem kleinen, stets zum Debattieren aufgelegten Buchhändler, der im Winter eine überdimensionale, zottelige Schaffellweste trug, die seiner meckernd hohen Stimme einen Körper zu geben schien. Während mein Vater und er sich also ausgiebig stritten, verlor ich mich an Hermann Hesse. An Rilke. An Thomas Mann. Stefan Zweig. Umberto Eco, Michael Ende, Patrick Suesskind, Max Frisch, Dürrenmatt, Wolfgang Borchert, Robert Walser, ich wollte sie alle. Die meisten nahm ich mit nach Hause.

Zu den Geburtstagen wünschte ich mir neue Regale.

Ich überlegte, mein Bett auf Bücher zu bauen. Einzig die Tatsache, dass das Herankommen durch diese Art der Aufbewahrung schwierig geworden wäre, hielt mich davon ab. Ich stapelte sie dafür an den Wänden, eine gefährliche Innenverkleidung, die häufig einstürzte, deren Anblick mich aber glücklich machte.

Einen gab es allerdings, den bekam ich nicht.
Friedrich Nietzsche.

Und mal gleich vorweg: Ich bekam ihn nicht, nahm ihn aber trotzdem eines Tages mit nach Hause.

Er sei für eine Vierzehnjährige nicht geeignet, sagten mein Vater und sein zänkischer Buchhändler in seltenem Einvernehmen. Kaum einer meiner Freunde verstand die Anziehungskraft, die Nietzsche nun plötzlich auf mich ausübte, er sei einfacher zu bekommen als Dope. Darum ging es natürlich nicht. Ich fühlte mich falsch eingeschätzt, unterschätzt. Diese beiden Männer hatten entschieden, ich sei zu (sie sagten:) jung, (aber sie meinten: wenig vorgebildet), um Nietzsche zu verstehen.

Ich fühlte mich diskriminiert.

Ich begann mit beiden zu streiten. Das war unklug. Wir stritten aneinander vorbei. Mir ging es ums Prinzip, den beiden um Inhalt und Vorgehen. Ich wollte eine Chance zu verstehen, sie sagten, ich könne nicht verstehen ohne zu wissen. Ich wollte die Lizenz zum Alleslesen, sie wollten mir eine Einführung in die Philosophie andrehen. Im Nachhinein ganz sicher eine ausgezeichnete Idee. Mit ein wenig mehr Einfühlungsvermögen der beiden wäre sie vielleicht auch mit mir nach Hause gekommen.

So aber stand da eine um Emanzipation ringende, dickköpfige, adoleszente Vierzehnjährige und ärgerte sich maßlos über zwei Männer, die ihr etwas vorenthalten wollten.

Es wurde kein Diebstahl, ich kaufte das Buch bei der friedliebenden Konkurrenz.

Es war ein dtv Taschenbuch, glaube ich. Also sprach Zarathustra. Das Cover silberfarben, ein wild dreinschauender Nietzsche mit walrossartigem Oberlippenbart blickte mich an. Meine Erwartungen waren groß. Ich las ihn von vorne bis hinten und gebe zu, ich verstand nichts, jedenfalls nichts Gutes, nichts, das Anwendung auf mein Leben gefunden hätte. Ich ärgerte mich maßlos über den Ton, ich hätte auch die Bibel in die Hand nehmen können, ‚Wahrlich, ich sage euch…’ und dann diese sich widersprechenden, für eine Vierzehnjährige in der Tat nicht nachvollziehbaren Behauptungen und Ratschläge.

Friedrich wurde nicht zur großen Liebe, auch später nicht.

Vielleicht hätte es anders kommen können, wenn es richtig gelaufen wäre. Hättehätte, genau … und noch ist nicht aller Bücherregale Ende. In der Zwischenzeit habe ich mich mehr der Belletristik denn der Philosophie oder Lyrik zugewandt. Und was soll ich sagen? Es ist wie im richtigen Leben: Hier verknalle ich mich Hals über Kopf und am Ende fällt es mir schwer hinzunehmen, dass es vorbei ist, dort entsteht langsam eine tiefe Liebe, die für immer bleibt. Es gibt auch große Abneigung, manche finde ich so lala, andere langweilig, für mich unbedeutend – und dann gibt es durchaus Bücher, Autoren, mit denen ich nicht warm werde, obwohl ich es immer und immer wieder versuche.

Ich werde sie niemals alle haben, geschweige denn lesen können.

In dieser Gewissheit und vergleichbar mit der Maxime nichts zu essen, was ich nicht wirklich mag, passiert es hin und wieder, dass ich ein Buch, auch wenn mir ein Großteil gefallen hat, nicht zu Ende lese. So jüngst passiert bei Clemens Setz’ Indigo. Nach zwei Dritteln (sehr gut geschrieben, eingängige Charaktere, hoch interessantes Setting, schöne Beklemmung,) hatte ich das Gefühl, der Plot dümpelt, es gab keine Entwicklung, noch nicht einmal Hoffnung auf Entwicklung, möglicherweise war das Teil des Plots und das sich einstellende Gefühl Absicht des Autors. Muss man aushalten können als Leser. Konnte ich nicht. Außerdem grätschte Feridun Zaimoglus ‚Isabel’ beim Anlesen dazwischen. Das wiederum war Liebe nach der ersten und bis zur letzten Zeile. Und dann warteten da noch viele, viele andere …

Nun werde ich tatsächlich häufig gefragt,

was ich gerade lese oder gelesen habe und ob ich ein spezielles Buch empfehlen kann.

Letzteres tue ich nur für drei Menschen, die ich wirklich gut kenne. Ebenso wenig mache ich hier Inhaltsangaben, die kann man wunderbar auf Amazon oder Verlagsseiten lesen. Ich schreibe hier  über meine persönlichen Lese-Erlebnisse (und versuche es kurz zu machen).

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