Paris
Laurence Manya Krief ist an diesem Morgen früher dran als sonst. Sie ist Geschäftsführerin fünf großer Shops einer bekannten französischen Prêt-à-Porter-Kette in Paris. Es ist erster Schlussverkauf-Tag, kurz nach sieben. Von weitem schon ist der Tumult zu hören. Eine Schar Frauen drängt sich auf den Champs Elysées, als gäbe es Freikarten für ein Michael Jackson-Konzert, (der sang damals noch). An Wein denkt sie an diesem Morgen nicht.
Vom Fenster ihres Büros im zweiten Stock sieht die Fünfunddreißigjährige wenig später auf eine Menschentraube, die sich binnen kurzer Zeit zu einer Schlange windet. Laurence weiß, bevor das Gedränge gefährlich wird, muss sie die Türen öffnen lassen.
Es ist noch nicht einmal acht als die Menge kreischend in den Verkaufsraum strömt, sich auf Kleiderständer stürzt, durch reduzierte Warenberge wühlt. Plötzlich gerät ein Dutzend junger Frauen in Streit. Laurence traut ihren Augen kaum, als die Schnäppchenjägerinnen beginnen sich zu prügeln.
Kurz entschlossen greift die gebürtige Südfranzösin zum Hörer und ruft die Polizei.
‚Was für ein Irrsinn!‘ denkt sie noch, ‚wegen einer Jeans!‘ Wenig später weiß die Mutter zweier Söhne ganz genau: Sie muss hier weg. Sofort. Und reicht die Kündigung ein.
Yoyo
Neunhundert Kilometer weiter südlich und zwölf Jahre später treffen wir sie auf der ‚place du village’ in Banyuls sur Mer, einem kleinen Küstenort kurz vor der spanischen Grenze.
‚Das war einfach nicht meine Welt!‘, sagt die hübsche, zart gewachsene Person, die von ihrer Familie als kleines Mädchen schon Yoyo genannt wird, weil sie immer in Bewegung ist, auf und ab und hin und her. Sie unterschreibt die kurzen Mails, in denen wir uns verabreden, mit diesem Namen, sie stellt sich mir und Jeannette, der Fotografin, so vor. Sie ist Yoyo. Erstaunlich ruhig sitzt die heute siebenundvierzigjährige jetzt vor uns. Blaue Latzhose, weißes T-Shirt, das kastanienbraune Haar im Nacken zum Pferdeschwanz gebunden.
‚Ich gehöre in die Weinberge‘,
ihre tiefe klare Stimme lässt keinen Zweifel aufkommen: ‚da ist mein Platz.‘ Zu kündigen und Wein zu machen war logische Konsequenz. Logische Konsequenz einer Leidenschaft, die schon immer da, ihr in die Wiege gelegt war.
Doch in Yoyos Familie gibt es eine klare Regel: Die Jungs machen Wein, die Mädels gehen in die Textilbranche. Als die junge Frau mit achtzehn den Wunsch äußert Winzerin zu werden, lässt man sie nicht.
‚Ich war also ein artiges Mädchen,‘ ein kleines Blitzen in den blauen Augen verrät den Hintergedanken und die unbändige Leidenschaft, damals schon, ‚Ich tat, was man von mir erwartete, ich ging zur Textilschule. Nachdem ich den Wunsch meiner Eltern erfüllt hatte, entschied ich mich dann endlich zu machen, was ich wirklich wollte.‘
Das Alter
‚Eigentlich war ich damals schon zu alt, eigentlich war es zu spät, ’ sagt sie nüchtern und drängt uns jetzt zum Aufbruch. Sie möchte nach den Reben sehen und uns ihren allerersten Weinberg zeigen, den, mit dem alles begann. Tatsächlich sollte sie ihn sich damals nur für einen Freund ansehen.
Wir quetschen uns zu dritt auf die Vorderbank des kleinen Lieferwagens. Fahren an einem ausgetrockneten Flussbett entlang, hinaus aus dem kleinen Ort, über eine ehemalige Schmugglerstraße, in die Berge. Immer wieder passieren wir verwahrloste Weinberge. Viele Winzer haben die Reben aufgegeben. Die Arbeit sei extrem hart, bemerkt Yoyo.
Jeden Morgen, bereits um sechs und dann solange die Hitze erträglich ist, steht die energiegeladene Winzerin mit einem Angestellten und einem Praktikanten in den Reben. Sieben Hektar müssen bearbeitet werden, anschließend geht sie in den Weinkeller. Danach ist der ganze Papierkram dran, die Verwaltung, die Zölle.
‚In Frankreich läuft nichts ohne Behörden. Für einen Vorgang brauchst du fünfzig Formulare!’,
sie legt lachend die Hand an die Stirn und schüttelt den Kopf. Seit über zehn Jahren ist sie mittlerweile Winzerin. Jeder Tag fordert sie aufs Neue.
‚Man sollte früh damit anfangen,‘ sagt sie, und dass die Kräfte inzwischen ein wenig nachlassen, dass die Arbeit schwieriger wird, mit Ende vierzig und die Entscheidung, ausgerechnet hier an diesem Ort Wein anzubauen, eine ganz besondere Herausforderung sei.
Der Weinberg
Es sind sicherlich die beeindruckendsten Weinhänge, die ich bisher gesehen habe. Wie gemalt erstrecken sie sich über die steilen, zum Meer hin immer sanfter abfallenden Hügel der Pyrenäenausläufer, die unten, an der Küste, in die katalanische See zu gleiten scheinen. Schwer zu bearbeiten seien diese wilden Schönheiten.
‚Aber die Erde hier hat großes Potential‘, sagt Yoyo, ‚hier herrscht 20° C Jahresdurchschnitts-Temperatur. Der schwarze Schiefer hält die Wärme und gibt sie nachts zurück, es ist konstant warm.‘
Wir halten oberhalb eines plätschernden Bachs. Üppiges Schilfgras und kleine Bäume wachsen das steinige Ufer entlang. Zikadengesang, Vogelstimmen überall.
‚Es ist der beste Ort zum Abschalten,‘ schwärmt die Winzerin ‚höchstens ein Auto kommt in der Stunde vorbei. Und das Handy hat keinen Empfang! Ich genieße immer die Ruhe hier.‘
Auf einer ausgedienten Palette überqueren wir den Bach, um zum Weinberg zu gelangen. Frösche springen ins Wasser, als wir uns nähern. Ein Blick den schmalen, Gras bewachsenen Weg hinauf und man begreift, warum die Winzerin, die ihre Domaine nach dem eigenen Spitznamen benannt hat, obwohl der Bankier ihr davon abriet (nicht seriös genug), diese Parzelle vor mehr als zehn Jahren kaufen musste.
Bis heute vermutet sie, der Freund, der sie damals herschickte, habe ein bisschen darauf spekuliert, dass sie sich in das Land verlieben würde.
Wild romantisch blühen Wiesenblumen, Malven, Lavendel und Kakteen am Rand der Rebstöcke und locken Bienen an. Im letzten Drittel wachsen junge Olivenbäume auf hellen geraden Stämmen. Und ganz oben, kurz vor einer Ansammlung von Felsen und Gebüsch thronen eindrucksvoll hundertjährige Reben. Knorrige Damen, die würdevoll ins Tal blicken. Sie mussten von den jungen, weiter unten neu angepflanzten, getrennt werden, weil sie denen keinen Platz ließen, mit ihren raumgreifenden Wurzeln.
Es ist spannend, Yoyo zuzuhören, wenn sie von ihren Weinbergen, ihren Pflanzen spricht, wenn sie erzählt, wie sie im Sommer, in der größten Hitze deren quälenden Durst aushalten muss, schließlich kann sie nicht überall herumrennen und gießen. Es ist eine gefühlvolle, mütterliche Beziehung, die sie zu ihren Reben hat und sehr naheliegend, dass sie die Zeit vom ersten Schnitt im Dezember bis zur Erntezeit im August als die ‚berauschende Zeit einer Schwangerschaft‘ beschreibt.
‚Die Weinlese ist für mich wie eine Niederkunft …
Und das Keltern, um beim Bild zu bleiben, da erziehe ich das Kind. Natürlich denken nur die Mädchen so …‘, fügt sie mit einem breiten Lächeln hinzu. ‚Die Jungs ziehen in den Krieg, die erzählen dir was von Gleichgewicht, vom Kampf zwischen Hefen und Bakterien! Wir Frauen ziehen ein Kind groß.‘
Yoyo zeigt uns einen Rosenstrauch am Rand der Reben, man findet sie auffällig häufig hier. Sie sind eine Art Alarmanlage, erklärt die leidenschaftliche Winzerin und betrachtet die dunklen Blätter sehr genau. Wenn er mit Krankheit oder Schädlingen befallen ist, weiß sie, dass als nächstes die Reben dran sein könnten und beugt sofort vor.
‚Der ist gesund,‘ urteilt sie und lässt sanft den dornigen Ast zurückschnellen. Zur Sicherheit geht ihr Blick aber noch hier und dort durch die Rebenblätter im Berg. Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben, als sie zurückkommt: ‚Für dieses Mal sind alle gesund!‘
Das Terrain
Yoyos greift in die Erde, zerdrückt sie. Trockene Krumen und Steine fallen herab. Nichts scheint den Boden zusammenzuhalten. Das Kräftezehrende der Arbeit in diesen Bergen rühre vor allem von ihrer Beschaffenheit, erklärt sie und vom Terrain, den uralten Natursteinmauern, die das trockene, schieferhaltige Gelände strukturieren, die bei Regen und Sturm zwar die Hänge vor dem Abrutschen sichern, aber ein Durchkommen für Maschinen unmöglich machen.
An einen Traktor ist nicht zu denken.
Der Maulesel, der in der Nähe ihres Weinkellers, 20 Kilometer von Banyuls, mit Artgenossen auf der Weide steht, funktioniert als Unkrautvernichter nur im Winter. Zu sehr liebt er die zarten Blätter der Reben und die saftigen Trauben. Das höchste der Gefühle für dieses Terrain ist ein Motoculteur, ein einachsiges Pfluggerät, das von Hand geführt werden muss. Den Großteil des Jahres jedoch arbeiten Yoyo und ihre beiden Mitarbeiter mit der Spitzhacke. Und das dauert.
Das Gift und die Nachbarn
Warum sie das Unkraut nicht einfach stehen lässt, begründet sich vor allem in dem Umstand, dass es im Kampf um Nährstoffe und Wasser in direkter Konkurrenz zur Rebe steht. Natürlich ginge es auch einfacher.
‚Vor sechzig Jahren ist die Chemie hier eingezogen. Die Arbeit wurde dadurch um einiges leichter, es musste nicht mehr gepflügt und Unkraut gejätet werden. Die Chemie hat, wenn man so will, die Region damals gerettet, ihr geholfen weiter zu existieren. Darum hält ein Großteil der Winzer immer noch daran fest.’
Aber auf Yoyos Wein hat Chemie nichts zu suchen, auch wenn es ihr anfänglich mehr um Geschmack, als um Ökologische Landwirtschaft ging und die Nachbarschaft zu den chemisch arbeitenden Winzern nicht unproblematisch ist.
‘Der konventionelle Winzer ist der Meinung, sein Weinberg sei sauber, meiner schmutzig. Dazu kann ich nur sagen: Meiner lebt, deiner ist tot!
In diesem Punkt verstehen wir uns nicht. Wir Naturwinzer versuchen, die über Jahrzehnte ausgelaugte Erde wieder lebendig zu machen. Wenn du hier jemanden zwischen den Reben aufschreien hörst, ist es mit Sicherheit ein Freudenschrei, dann hat der einen Regenwurm gefunden!‘, scherzt sie. Zehn Jahre dauert es durchschnittlich, bis ein Weinberg wieder zu ‚leben’ beginnt.
Ungerecht sei, dass Naturwinzer kontrolliert werden, während konventionelle Bauern keiner Kontrolle unterliegen.
Wenn der benachbarte Winzer Chemie versprüht, muss der Naturwinzer, gemäß Auflage, die ersten 5 Reihen der eigenen Reben bei der Ernte außen vor lassen, sein Nachbar hingegen darf bis zur Grenze Gift verbreiten.
‚Eigentlich müsste es so sein, dass er die letzten 5 Reihen seines Weinbergs nicht behandelt. Manchmal sprühen meine Nachbarn sogar Pestizide in die ersten meiner Reihen, damit das Unkraut nicht zu ihnen rüberwächst. Die haben eben eine alte Weltanschauung,‘ bemerkt die überzeugte Naturwinzerin erstaunlich friedfertig.
Yoyos ganz andere Denkweise wurde in der Weinakademie geprägt, von einer Gruppe jüngerer Winzer, die naturbelassenen Wein herstellen wollte. Alle, wie sie selbst, nach einer Art Midlife-Krise, im Zweitberuf. Angesteckt von deren Enthusiasmus und beseelt vom eigenen, tiefen Wunsch, einen ehrlichen Wein mit unverfälschtem Geschmack zu machen, schliesst Yoyo sich ihnen an.
Der Naturwein
‚Als ich in der Akademie das erste Mal Naturwein probiert habe, dachte ich, das sei nicht möglich! Ich habe mein Leben lang nach etwas gesucht, das so schmeckt! In diesem Wein steckt pure Emotion. Das wird dir in einem konventionellen Wein niemals begegnen. Wenn du diese Art Wein kostest, passiert Unglaubliches! Ich war sofort total fasziniert‘, erinnert sich die Winzerin mit leuchtenden Augen.
Nach beendetem Studium lassen sich alle aus der Akademie-Gruppe ungefähr gleichzeitig am selben Ort nieder. In Banyuls sur Mer. Die Jungs von damals nennt sie heute nicht Kollegen, es sind Freunde, die sie inzwischen häufiger sieht als ihre Kinder.
Nach Verlassen der Akademie jedoch hält sie es immer noch für etwas außerhalb des Vorstellbaren, einen eigenen, ihren Träumen entsprechenden Wein herzustellen. Als sie die Trauben von ihrem ersten Weinberg erntet, ihren ersten Wein keltert, gibt sie dem Unvorstellbaren einen Namen: Chime.R. steht auf dem Etikett. Chimäre. Nach einem Tier, das es nicht gibt, als könne sie es immer noch nicht fassen.
DIE WINZERIN/DIE VERWANDTSCHAFT/DER ERFOLG
Es ist Mittagessenszeit. Zeit, den Wein zu probieren, über den wir schon viele Stunden sprechen. Ob es schwer sei für eine Frau, in diesem, von Männern dominierten Beruf, will ich wissen, während wir über die holprige Straße nach Banyuls zurück fahren. Das Gegenteil sei der Fall, versichert Yoyo:
‚Egal was ist, die Jungs packen immer mit an. Ich bin meist das einzige Mädchen. Und ich finde das toll. Sie sind alle extrem aufmerksam und wenn es etwas körperlich Anstrengendes zu tun gibt, sagen sie: ‚Ruh‘ dich aus! Du kannst uns vielleicht was zu essen machen …‘, sie lacht herzlich, ‚Ich war in diesem Beruf nie auf mich alleine gestellt!‘, fügt sie hinzu. Und, dass auch das eine Besonderheit der Naturweinbauern sei: Die Hilfsbereitschaft, das Miteinander.
‚Nur so läuft es‘, sinniert Yoyo, ‚anders könnte ich es mir gar nicht vorstellen. Wir suchen gemeinsam nach Lösungen für schwierige Situationen, wir greifen uns gegenseitig unter die Arme.‘
Zu Anfang von Yoyos Zweitkarriere witzelten die Verwandten, die Naturwinzerin würde Essig produzieren.
Wenn sie in der Familie erzählt, wie in ihrem Umfeld gearbeitet wird, sind sie entsetzt: ‚Du verbringst deine Zeit mit der Konkurrenz? Und du erzählst denen, wie du den Wein machst? Du musst verrückt sein!‘
Ihre Verwunderung überrascht nicht. Bei der konventionellen Weinherstellung dürfen mehr als fünfzig Zusatzstoffe eingesetzt werden, von denen kein einziger deklarationspflichtig ist, weil es sich bei Wein um ein Genussmittel handelt. Vermutlich hat jeder das Geheimnis seines Weins in einer chemischen Formel versteckt. Inzwischen beginnt die Verwandtschaft aber sich dafür zu interessieren, was Naturwinzer anders machen. Auch bei ihnen ist angekommen, dass sich Naturwein gut verkauft. Vor allem nach Japan, in die skandinavischen Länder und die Bretagne.
‚Das liegt daran‘, ist Yoyos simple wie eingängige Erklärung, dass ‚die Leute dort offener, nicht auf einen bestimmten Geschmack programmiert sind.‘
EL XADIC – Die Weine
Es ist fast eins. Wir halten im Herzen von Banyuls, in der engen Avenue du Puig, direkt vor der Nummer 11. Der kleine Lieferwagen blockiert die gesamte Straße. Aus dem Innern des Gebäudes kommt ein sympathischer, dunkel gelockter Mann. Yoyo springt aus dem Wagen und begrüßt ihn herzlich. Es ist Manu, ihm gehört das El Xadic del Mar, in dem er neben einem kleinen Sortiment an Naturweinen auch Yoyos Wein verkauft und eine ausgezeichnete Küche führt.
Wir tragen rasch ein Paar Kartons aus dem Wagen in die ‚Bar à Vins‘, die eigentlich ein kleines Restaurant ist. Ich sehe Yoyos Weinflaschen in den Regalen. Sie tragen alle einen Anker auf dem Etikett, das graphisch schlichte Logo ihrer Domaine und einfache, aber geheimnisvolle Namen. Der Anker ist eine Reminiszenz an die Gegend, an die Alten, die nicht nur Wein machten sondern gleichzeitig Fischer waren. Schließlich lebt man hier am Meer.
Zum Aperitif trinken wir Yoyos einzigen weißen Wein
Restaké heißt er. Rester à quai, ein Ausdruck aus der Fischerei, der so viel bedeutet, wie ‚in der Nähe des Ufers‘ oder ‚Hafens zu bleiben‘, sich nicht allzu weit zu entfernen. Er riecht für mich nach warmem Schiefer, nach feuchtem Gestein, schmeckt mild und entwickelt am Gaumen eine unfassbare Weite. Es sei nicht einfach, hier einen weißen Wein zu machen, sagt Yoyo.
‚…der hat immer die Tendenz zu oxidieren, Luft zu bekommen, ein bisschen wie bei elsässischen Weinen. Das versuche ich zu vermeiden. Ich versuche, den Wein geschmacklich da verweilen zu lassen wo er ist. Daher der Name.‘
Man muss kein Weinkenner sein, um Wein schmecken zu können und zu mögen.
‚Schwierig ist, wenn du das magst‘, gibt Yoyo zu bedenken, ‚danach etwas anderes zu trinken.‘
Für sie und die anderen Naturwinzer sei es natürlich großartig, Weintrinker zu konvertieren.
Bunte Fliesen trennen den offenen Küchenbereich im El Xadic del Mar an der Stirnseite vom übrigen Raum. An den Wänden Weinregale und über Manus Kopf, der jetzt hinter den Tresen getreten ist, für jeden gut lesbar, eine handgeschriebene Speisekarte, die uns neugierig und großen Appetit macht: Anchovis mit Ziegenkäse, Mozzarella mit Ananas, Hummus, Muscheln à la japonaise, Taboulé mit Tintenfisch, Tatar vom roten Thunfisch mit Trauben, Carpacho vom Loup de Mer … ein Auszug nur.
Worte reichen nicht zu beschreiben, was Manu uns wenig später serviert
Einfache und doch raffinierte Gerichte, die pur und intensiv nach dem schmecken, was sie sind. Man sollte unbedingt vorher reservieren – und selbst probieren. Aber vor allem: Diesen Wein trinken.
Zum Essen schenkt uns Yoyo ‚La Vierge Rouge‘ ein, auf dessen Bauch ausnahmsweise kein Anker prangt. Papierschnipsel fliegen über das dunkle Etikett: Yoyos Logo, der Name des Weins und ein rotes Rechteck, auf dem sich drei ungleichmäßig lange Streifen wie Schals übereinander im Wind bewegen. Das Logo von ‚Les foulards rouges‘.
Der Wein ist durchsichtig und hellrot im Glas, er riecht nach den Blumen, die uns vormittags in den steinigen Bergen begegnet sind, nach leichten Kräutern und Gewürzen. Ihn zu atmen ist so aufregend wie ihn zu trinken. Für mich schmeckt er nach Gebirgsbach, Jeannette, die Fotografin, die mich begleitet, schwärmt von hellem Holz und Moos. Faszinierend, da sind wir uns einig, dass ein Wein so tief, so ehrlich schmeckt.
Die Wahrheit
Ohne Leidenschaft, versichert Yoyo, wäre die Herstellung eines solchen Weins nicht möglich. Und Leidenschaft hat ihren Preis. Nicht umsonst steckt Leiden im Wort.
‚Als ich entschieden hatte das zu machen, von diesem Moment an, habe ich meine Kinder kaum noch gesehen. Ja, es ist die Passion meines Lebens. Du entscheidest alles zu ändern, weil du deinen Traum leben möchtest. Aber nachdem wir uns hier alle niedergelassen haben, hat es kaum ein, zwei Jahre gedauert, da waren wir alle geschieden. Das war fürchterlich!
Wenn du die Passion nicht mit dem Partner teilst, bist du unerträglich für den anderen.
Du bist ja nur noch damit beschäftigt, sprichst nur noch davon. Für den anderen ist das eine Zumutung.‘
Yoyos neue Liebe, Jean – Francois Niq, der Mann hinter ‚Les foulards rouges‘, teilt mit ihr den Weinkeller. Beide waren bereits Winzer, als sie sich ineinander verliebten. Für Yoyo wäre es nicht denkbar, ‚die Frau von …‘ zu sein. Nicht nur, weil sie sieht, dass die klassischen Winzer zwar die beschwerliche Arbeit gerne mit ihren Frauen teilen, nicht aber den Erfolg.
Sie ist auch überzeugt, dass sich im Naturwein das Temperament, der Charakter des Winzers wiederfindet und dass sich diese Einflüsse nicht mischen sollten. ‚La vierge Rouge‘ und ‚La negra‘, ein weiterer Wein, den sie mit ihrem neuen Lebenspartner macht, sind eine Ausnahme, sie sind geteilte Passion.
Als wir aufbrechen, lehnt Manu im pistaziengrünen Türrahmen und hört sich mit breitem Grinsen meine Frage nach der korrekten französischen Bezeichnung für Naturwein an. ‚Vin nature oder vin naturel?‘ frage ich. Er schüttelt den Kopf: ‚Einfach nur Wein‘, sagt er. ‚Das ist Wein!‘ Als sei es das Natürlichste von der Welt.
Mehr zu Yoyo:
Treffen kann man Yoyo, wenn sie nicht in den Weinbergen ist, womöglich bei Manu im
El Xadic del Mar
dessen Gerichte unübertroffen gut zu Yoyos Weinen passen. Natürliche, frische Zutaten, viel Gemüse, Meeresfrüchte, Fisch, eine raffinierte Kombinationen der französischen und katalanischen Küche.
Adresse: 11, Avenue du Puig del Mas, 66650 Banyuls-sur-Mer, Frankreich
Telefon: +33 4 68 88 89 20
Unbedingt reservieren!
Besuchen sollte man in Banyuls auf jeden Fall auch das
9 Caves
einen Zusammenschluss von 9 Naturwinzern in einem modernisierten historischen Weinkeller mit Restaurant, Café und Verkaufsraum (hier findet man nahezu alle Naturwinzer Frankreichs vertreten). Der offene Patio, der Restaurant und Weinkeller verbindet, bietet nicht nur Raum zum Essen und Trinken sondern auch für kulturelle Veranstaltungen.
YoYos eigene Webseite:
http://domaineyoyo.fr/contact/
In Deutschland gibt es YoYos Weine hier zu kaufen:
https://www.vins-vivants.de/frankreich/roussillon/domaine-yoyo/
Zu trinken gibt es ihn z.B. in Hamburgs französischstem (wenn man das steigern darf) Bistro, im Carmagnole, Juliusstrasse 18, Tel: 040-40186115, auch hier ist es ratsam zu reservieren. www. carmagnole.de, email: camille@carmagnole.de
Am besten jedoch, man fährt direkt nach Banyuls sur mer, trinkt YoYos formidablen Wein am Strand des kleinen Küstenorts, atmet dazu die leicht salzige Luft, im Rücken die Weinberge und schaut aufs Meer.
Fotos von Jeannette Corbeau: http://www.jeannettecorbeau.com