21.12.2014 Hammam authentique

 

Hammam1Sonntag. Tag der Reinigung.

Ich wollte in einen ‚echten’ Hammam. Dorthin, wo die Einheimischen sind und Europäer keine Extrabehandlung bekommen, ohne Touristen-Tamtam und Chichi. Ich hatte da so meine Fantasien. In meiner Kindheit gab es viele Samstagvormittage im Römisch-Irischen, ich wusste um die verschworenen Zusammenkünfte nackter Frauen im heißen Dampf, um ihre leisen und geheimnisvollen Gespräche, ihr selbstverständliches Miteinander. Da wollte ich hin, in den Schoß urweiblicher Gemeinschaft.

Bain et Douche la Kasbah steht über dem Eingang. Kasbah ist der arabische Ausdruck für alte Stadtmauer oder Festung.

Im Durchgang zum Bad ist der Putz weg, die Decke aufgebrochen, über uns klafft ein riesiges Loch, stellenweise notdürftig geflickt. Ursprünglich, echt, denke ich, hier bin ich richtig und froh, dass Maryem und ihre Tochter mich mitgenommen haben. Wir müssen rechts, links sind die Männer. Aus Marrakech weiß ich, dass Wasser und Boden hier mit Holz beheizt werden. Tatsächlich steht im Türsturz neben unserem Eingang ein Bärtiger mit MaxundMoriz-Säge, dabei einen halben Baumstamm zu zerkleinern. Wir öffnen die Tür, schieben einen geblümten Stoff zu Seite, warme Luft kommt entgegen, ein karger Raum, hellgelber Fliesenboden, ein gefliester Tresen, dahin gemauerte, offene Regale, hellblau, ganz oben türmen sich große bunte Plastikeimer. Rundherum im Raum abgenutzte Bänke, auf einigen liegen Gestalten, die sich bei unserem Eintritt ein wenig aufrichten, jetzt sehe ich, es sind angekleidete Frauen, die nach dem Sichreinigen offenbar ruhen.

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Einen Topf dunkle Olivenpaste habe ich bereits in Marrakech gekauft, den rauhen Handschuh bekomme ich hier von der kleinen Frau mit hellem Kopftuch hinter dem Tresen ausgehändigt. Der ist jetzt meiner. Auskleiden, Bikinihose, Badelatschen an und durch einen leicht warmen Raum in einen wärmeren und von dort in einen noch wärmeren, an dessen rechter Längsseite eine Art großer Brunnen steht, aus dem einige Frauen in durchnässter Unterhose Wasser in große Plastikeimer füllen.

Oh, ich würde gerne die Toilette aufsuchen. Man zeigt sie mir. Die kleine Frau mit dem Kopftuch macht ein Zeichen, es käme gleich jemand, um nochmal sauber zu machen. Warum? Von einer Plastikplane verdeckt, typisches französisches Stehklosett, wie es sie früher an den Autobahnen in Frankreich gab. Ein von Waschbeckenkeramik umsäumtes Loch im Boden, zwei kleine geriffelte Plattformen für die Füße. Dann stehe ich dort und sehe was sie meinte, aber es ist schon zu spät. Das enorm große beflügelte Tier liegt strampelnd auf dem Rücken, die Flügel kleben durch die Feuchtigkeit am Stein. Eine Riesenkakerlake. Ich hätte sie gern erst hinterher bis gar nicht gesehen. Nichts wie weg zurück zum Wasserbrunnenraum.

Frauen jeden Alters sitzen umgeben von bunten Eimern auf dem Boden, unter ihnen nichts als eine Art Gummimatte. Die meisten sind zu zweit, Mutter und Tochter, Nachbarinnen, Schwestern, Freundinnen. Dicke, dünne, alte, junge. Jede hat ihr Eimerarsenal. Es riecht nach Schweiß, ja das tut es, und nach Olivenpaste, ein bisschen nach modernem Shampoo, niveahaftem Einheitsgeruch und etwas Erdigem, das manche Frauen in Schüsseln mit Wasser vermengen, bevor sie es aufs Haar auftragen und dort verweilen lassen. Was sie sich anschließend gegenseitig vom Kopf spülen wirkt wie ein Erdrutsch nach einem Unwetter und zieht in einem dunklen Schwall an allen in der Mitte des Raumes vorüber, in den nächsten Raum, aus dem es abfließt. Man sieht mir die Ausländerin ganz offensichtlich an. Ich denke, ich glotze zu viel, ich stehe dumm rum, ich weiß nicht, was tun. Maryem sagt, ich bekomme Hilfe. Sie ist fast nackt, in etwa meinem Alter, auf dem Haupt ein weißer Turban, passend zur hellen Unterhose, die ihr durchnässt und lässig um die Hüften klebt. Mit Handzeichen bedeutet sie, ich solle mich gleich beim Brunnen an die Wand setzen. Ich wollte mutig sein und jetzt verlässt mich alles. Ich sehe einen Hocker und zeige darauf. Der Boden – ich weiß, die marokkanischen Frauen nehmen einen Eimer Wasser, kippen ihn über den begehrten Platz und setzen sich dort, wahlweise mit oder ohne Höschen. Für mein Sauberkeitsempfinden, ich fühle mich wie eine Memme, ist das Wasser nicht heiß genug, ich gebe es zu, ich fürchte mich und weiß noch nicht einmal vor was. Ich sitze nun also, beäugt von vielen, vielen Frauen, die mit nacktem Hinterm auf dem warmen Boden sitzen und sich gegenseitig die Haut schrubben, auf einem kleinen pinkfarbenen Hocker im Volks-Hammam und lasse die Badefrau meinen Körper sorgsam mit Olivenpaste einreiben. Sie knetet dabei meine Arme, legt meine Hand ab auf ihrem Bein, ihre Brust berührt meinen Arm, sie ist so nah, wie eine Mutter, wenn man Glück hatte, dann schrubbt sie Stück für Stück die Arme, den Rücken, die Beine, den Bauch, sie lässt nichts aus und freut sich über schmale schwarze Klümpchen auf meiner Haut, die sie ‚Spaghetti’ nennt und lacht, als habe sich die Arbeit gelohnt. Sie übergießt mich etliche Male mit warmem Wasser, bis meine Haut rot, doch spaghettifrei leuchtet, dann sieht sie mich ernst an und bittet, jetzt aufzustehen. Sie nimmt den Hocker weg. Ich solle mich auf den Boden legen. Ihre Handbewegung ist recht deutlich. Kein Widerspruch möglich. Die beiden jungen Frauen dicht rechts von mir schenken ein zartes, samtenes Lächeln. Ich ahne, ich muss es tun. Ich atme tief, der Boden ist warm und glitschig. Vorder- und Rückseite meines Körpers werden im Liegen geschliffen, dann übergossen, dann noch einmal poliert, Fußsohlen inbegriffen, dann wieder eingeseift und dieses Mal massiert. Ich sehe, als meine Aufregung sich ein wenig legt, an der gewölbten Decke ein weiteres geflügeltes Prachtexemplar einer hellbraunen Kakerlake, das außer mir, die ich dort wie eine Irre hinstarre aber niemanden weiter in Aufregung zu versetzen scheint.

Bei mir steht die Haarwäsche an. Nicht nötig, zum Abspülen den Kopf in den Nacken zu legen. Ich bekomme nach jedem Waschgang einen Eimer Wasser komplett über den Kopf geleert. Ich nehme es nicht persönlich, nachdem ich sehe: Die anderen machen es ebenso. Jetzt ist eine ältere Frau neben mich geglitten, offenbar allein, kommt auch ihr eine Badefrau zuhilfe. Vielleicht hätte ich, in etwas entspannterer Verfassung, auch darauf kommen können: sie legt sich nicht auf die Kacheln sondern stützt sich mit beiden Händen gegen die Wand, dass die Badefrau ihren gesamten Körper bearbeiten kann.

Egal. Ich habe es hinter mir. Ich kann mich jetzt, mithilfe der Platikkelle, die im hellblauen Eimer vor mir auf der Wasseroberfläche schwebt, so oft ich möchte selbst mit warmem Wasser übergießen, und dabei in die wunderbare Frauenwelt um mich in Ruhe eintauchen.

 

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